Wer kann schon von sich behaupten in der Stadt, in der Jesus geboren ist, feiern gewesen zu sein? – Ich!
Ich hatte zwei Mal die Möglichkeit einen Einblick in das Nachtleben in Bethlehem zu bekommen. Bisher wusste ich, um ehrlich zu sein, nicht einmal, dass Palästina überhaupt ein Nachtleben hat. Die arabische Kultur und die größtenteils konservative, moslemische Bevölkerung waren für mich Indizien dafür, dass mit dem Untergang der Sonne auch die Aktivitäten der Menschen vorbei waren. Dementsprechend überrascht war ich, als ich das erste Mal auf einer Party in Bethlehem war. Ich habe mich immer schon gefragt, warum so viele Läden im arabischen Souq so viele körperbetonte Kleider, kurze Röcke und enge Tops mit tiefen Ausschnitten verkaufen.
Wer kauft das denn? Und vor allem: Wo wird es getragen?
Als ich den Club betreten hatte musste ich mich erst einmal mit meinem eigenen Kulturschock auseinandersetzen. „Ein Hauch von Nichts“ beschreibt wahrscheinlich am ehesten den Kleidungsstil der meisten Frauen. Enge, knappe Kleidchen, bauchfreie Tops und High Heels in allen Farben und Formen. Selten habe ich in einem Club so viel Haut gesehen. Mit einem T-Shirt, Jeans und Stiefeletten hatte ich den Dress Code somit vollkommen verfehlt. Einen größeren Kontrast wie zwischen dem Auftreten und dem Verhalten der Menschen auf der Straße und in diesem Club gibt es nicht. Tagsüber sieht man fast nur Frauen mit Kopftuch, teilweise in bodenlangen Mänteln. Verheiratete (!) Paare erkennt man daran, dass sich die Frauen manchmal am Arm ihrer Männer einhaken, Händchenhalten ist selten, Küssen unmöglich. Doch in diesem Club wurde geraucht, viel getrunken, in allen Ecken wild geknutscht und sehr eng getanzt – verheiratet oder unverheiratet! Ich habe wirklich einige Zeit gebraucht um mich an diesen Anblick zu gewöhnen. Bin ich in Deutschland oder in Palästina? Ansonsten gab es eigentlich kaum Unterschiede zum Nachtleben in Deutschland. Eintritt 6€, Wodka Bull 7€, der DJ war super, die Musik abwechslungsreich – Arabisch und Englisch. Rihanna, Jay-Z und Pink haben es also auch in die Charts der arabischen Welt geschafft. – Eigentlich alles wie in Europa. Doch mein Erstaunen sollte noch einmal gesteigert werden als einer der Palästinenser mich darauf aufmerksam machte, dass eine der hübschen Mädels auf der Tanzfläche, die mit den langen blonden Haaren und dem bauchfreien Top, vielleicht gar kein Mädel ist? Beim genaueren Beobachten fiel mir auf, dass sowohl die Figur, als auch die Gesichtszüge wirklich etwas zu männlich waren. Das Ganze wurde zwar durch diverse Operationen vertuscht und war auf den ersten Blick wirklich nicht ersichtlich, konnte aber dann doch nicht ganz verborgen werden. Unglaublich, eine „Transe“ in einem Bethlehemer Nachtclub in Palästina – wer hätte das gedacht?
Ich bin mir bis heute nicht ganz sicher, ob es wirklich ein Schock war oder eher die Erleichterung darüber, dass die palästinensische Jugend liberaler, offener und aus westlicher Perspektive vielleicht „normaler“ ist, als ich dachte.