Israel ist so groß wie Hessen. Ein kleines Land mit einer großen Geschichte. Als Knotenpunkt zwischen drei Kontinenten war die Region schon immer von strategischer Bedeutung. Durch seine günstige Lage an wichtigen Handelsstraßen die Europa, Asien und Afrika verbanden, entwickelte sich die Region rasch. Der Austausch von kulturellen Gütern und vielfältigen Waren brachte dem Land Einfluss und Reichtum. Seit nahezu viertausend Jahren ist es das meistumkämpfte Fleckchen Erde auf unserem Globus. Nach den Kanaanitern und den Israeliten herrschten die Ägypter, die Hethiter und die Philister über die Region. Anschließend die Assyrer, die Babylonier und die Perser. Dann die Griechen, die Römer und die Byzantiner. Schließlich die Araber, die Kreuzfahrer und die Osmanen. Im letzten Jahrhundert dann die Briten und seit 1948 erneut die Israelis. Jedes neue Volk brachte neue Einflüsse in das Land. Neue Kulturen, neue Religionen, neue Traditionen. Es kamen neue Herrscher an die Macht, es wurde anderen Göttern gedient, es wurden neue Bauwerke errichtet und die Geschichte wurde ein kleines bisschen weiter geschrieben. Doch jede neue Herrschaft brachte auch neues Blutvergießen. Einige Eroberer stießen kaum auf Widerstand durch die ansässige Bevölkerung, andere musste jahrelang schwere Verluste in Kauf nehmen um das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Einige Herrscher besetzten das Land nur und ließen die Bevölkerung unter gewissen Bedingungen gewähren, sie durften ihren Lebensstil beibehalten und ihre Religion weiter ausüben. Andere löschten alles aus was an vorherige Machthaber und kulturelle Einflüsse erinnert. Sie hinterließen eine Spur der Zerstörung und ermordeten oder vertrieben die Bevölkerung um anschließend einen neuen Staat mit neuen Regeln und Prinzipien zu formen. Im Heiligen Land ist der Boden mit Blut getränkt. Viertausend Jahre Geschichte – Viertausend Jahre Krieg.
Die Region Israel ist für alle drei großen monotheistischen Weltreligionen heilig. Der Überlieferung nach ist Abraham Stammvater des Judentums, des Christentums und des Islam. Alle drei abrahamitischen Religionen haben ihre Ursprünge in der historisch-geografischen Region Israel.
Für die Juden ist Israel das Land der Verheißung. Nach der Lehre des Alten Testamentes wurde das Land Abraham und dem Volk Israel von Gott versprochen. Jerusalem ist außerdem die Tempelstadt Davids und Salomos. Auf dem Berg Moriah wurde unter König Salomo ~950 v. Chr. der erste Tempel errichtet. Im Allerheiligsten des Tempels befand sich nach biblischer Darstellung die Bundeslade mit den 10 Geboten, die Mose von Gott erhalten hatte. Nachdem der Tempel durch die Babylonier zerstört wurde, von Herodes dem Großen wieder aufgebaut und erweitert wurde, wurde er 70 n.Chr., während der Niederschlagung der jüdischen Aufstände gegen die römische Herrschaft, jedoch endgültig zerstört. Einige Mauern und Überreste des Tempels sind aber bis heute erhalten. Für die Juden ist die Westmauer des Tempelberges, die Klagemauer, die heiligste Stätte. Sie liegt dem Ort, an dem sich das Allerheiligste mit der Bundeslade befand, am nächsten.
Das Christentum hat seine Wurzeln im Judentum. Das Alte Testament der Bibel ist sowohl für Juden, als auch für Christen die geschichtliche Grundlage ihres Glaubens. Die christliche Lehre basiert allerdings darauf, dass Gott seinen Sohn Jesus auf die Erde sandte um den Menschen die Frohe Botschaft Gottes zu verkünden. Nach dem Glaubensverständnis des Neuen Testamentes wird die Menschheit durch seinen Tod am Kreuz und die Auferstehung von Schuld und Sünde befreit. Die Geburt Jesu in Bethlehem, sein Leben als Wanderprediger, sein Leidensweg, die Kreuzigung und Beerdigung in Jerusalem und schließlich die Auferstehung haben nach der Überlieferung des Neuen Testamentes in Israel stattgefunden. Die heiligsten Stätten der Christen sind die Geburtskirche in Bethlehem, die Via Dolorosa („Leidensweg“), die Grabeskirche in Jerusalem und viele weitere Wirkungsorte von Jesus Christus.
Nach der Lehre des Islam ist Jerusalem nach Mekka und Medina die drittheiligste Stadt. Nach der Geschichtsschreibung des Korans soll der Prophet Mohammed vom Tempelberg aus auf einem weißen pferdeähnlichen Wesen eine nächtliche Himmelfahrt angetreten haben. An dieser Stelle steht seit 691 n.Chr. der Felsendom, das prächtigste Bauwerk Jerusalems. Nur wenige Meter entfernt wurde zur selben Zeit die Al-Aqsa-Moschee errichtet. Beide Gebäude zählen zu den heiligsten Stätten des Islam und sind Ziel vieler moslemischer Pilger aus aller Welt. Der gesamte Tempelberg wird heute von der „Waqf“, einer islamischen Stiftung verwaltet und ist für Andersgläubige nur zu bestimmten Uhrzeiten, für Juden nur sehr eingeschränkt betretbar.
Das Judentum, das Christentum, der Islam – drei Religionen, drei Historien, drei Grundlagentexte und drei Heiligtümer. Sie haben denselben Ursprung und sich über die Jahrhunderte, fast schon Jahrtausende in so unterschiedliche Richtungen entwickelt. Für jede der drei Religionen bedeutet Heiligkeit etwas anderes. Doch was ist Heiligkeit überhaupt? Menschen, Bauwerke, Schriften und Reliquien können heilig sein. Doch was macht ihre Heiligkeit aus? Sind sie schon von sich aus heilig? Wer entscheidet ob ein Gegenstand, ein Ort oder eine Figur heilig ist oder nicht? Ist Heiligkeit etwas Gottgegebenes? Heilig zu sein ist eine Eigenschaft. Die Dinge sind also nicht von sich aus heilig, sie bekommen ihre Heiligkeit vom Menschen zugesprochen. Wenn Heiligkeit aber nicht von sich aus besteht, sondern als Eigenschaft einem Gegenstand zugesprochen wird, dann kann sie diesem auch wieder abgesprochen werden. Wie heilig ist das Land Israel also wirklich? Wie heilig ist die Stadt Jerusalem wirklich? Ist dieses Land heilig oder ist es der Mensch, der es für heilig erklärt?
Die Klagemauer, der heiligste Ort des Judentums und die umliegenden Viertel in der Jerusalemer Altstadt wurden im Sechs-Tage-Krieg 1967 von Israel erobert. Um die Klagemauer und den Platz davor für die Juden zugänglich zu machen wurde das marokkanische Viertel abgerissen. Wie heilig ist es, ein ganzes Altstadtviertel zu zerstören, die Häuser abzureißen und die Menschen zu vertreiben, um ein eigenes Heiligtum freizulegen? Viele jüdische Zionisten gehören der Siedlungsbewegung an. Ihr ideelles Ziel ist es den Staat Israel zu vergrößern und ihn auf die historisch-geografische Region Israel zu erweitern. Sie berufen sich auf das Alte Testament und beanspruchen das Land für sich, weil es ihnen von Gott gegeben wurde. Wie heilig ist es im Namen Gottes illegale jüdische Siedlungen zu errichten, internationale Gesetze zu brechen, Lebensgrundlagen auszulöschen und wortwörtlich über Leichen zu gehen? Viele orthodoxe bzw. ultraorthodoxe Juden lehnen den Staat Israel in seiner heutigen Form ab. Ihrer Ansicht nach kann nur der Messias bei seiner Ankunft auf der Erde einen jüdischen Staat errichten und einen neuen Tempel bauen. Die meisten ultraorthodoxen Familien sprechen Jiddisch, eine alte mitteleuropäische Sprache. Sie vermeiden es Hebräisch zu sprechen, weil es die Sprache Gottes ist und sie zu heilig für den Alltagsgebrauch sei. Die Männer der ultraorthodoxen Familien verweigern den Militärdienst und arbeiten meist nicht, weil sie ihr Leben lang dem Studium religiöser Schriften nachgehen. Da die Familien aber durchschnittlich 8 – 10 Kinder haben müssen die Frauen neben ihren Pflichten als Mutter und Hausfrau oft auch noch den Lebensunterhalt der Familie verdienen. Viele der ultraorthodoxen Familien leben deshalb in Armut und sind auf Spenden von reichen Juden und auf finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen. Wie heilig ist es, den Staat in dem man lebt abzulehnen und gleichzeitig am Tropf desselben zu hängen?
Die Christen erheben keinen Anspruch auf den Tempelberg, obwohl er auch in der christlichen Geschichte eine große Rolle spielt. Für christliche Pilger ist die Grabeskirche primäres Ziel in Jerusalem. Heute teilen sich sechs christliche Konfessionen die Grabeskirche: Die Griechisch-Orthodoxen, die Römisch-Katholischen, die Armenisch-Apostolischen, die Syrisch-Orthodoxen, die Äthiopisch-Orthodoxen und die Kopten. Jede der Glaubensgemeinschaften besitzt einen Teil der Kirche, teilweise nur eine kleine angebaute Kapelle. Die Besitzverhältnisse im Labyrinth von über- und aneinandergebauten Kirchen und Kapellen sind seit Jahrhunderten umstritten. Bis heute kommt es gelegentlich sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der verschiedenen christlichen Konfessionen. Da die Glaubensgemeinschaften untereinander so verstritten sind und keine der anderen über den Weg traut wird der Schlüssel der Haupteingangstür seit Jahrhunderten von einer moslemischen Familie verwahrt. Wie heilig ist es, dass sich Christen untereinander so sehr verstreiten, dass sie eher einer moslemischen Familie den Hauptschlüssel anvertrauen als ihren Glaubensgenossen? In Israel sind unzählige heilige christliche Stätten beheimatet. Jedes Jahr pilgern Millionen von Christen aus der ganzen Welt nach Israel um diese Orte zu besuchen und ihrem Gott ein kleines Stückchen näher zu sein. Vor allem orthodoxe Christen kann man dabei beobachten, wie sie vor Christus- und Marienikonen niederknien und beten. Dann zum nächsten Abbild eines Apostels oder Heiligen hetzen um auch dort ein kurzes Gebet zu sprechen. Sie berühren den heiligen Boden, küssen die Steine, beten vor Holzfiguren. Die Ikonen sind matt, hässlich, kaputt. Sie sind abgegriffen von unzähligen schmutzigen Händen und Lippen. Lebendiger Glaube wurde ersetzt durch tote Religion. Wie heilig ist es auswendiggelernte Gebete vor Bildnissen herunterzuleiern?
Wo früher das Allerheiligste des jüdischen Tempels stand, steht heute der islamische Felsendom. Jüdischen Archäologen sind jegliche Ausgrabungen auf bzw. unter dem Tempelberg verboten. Gleichzeitig bauen die Moslems jedoch an einer Moschee unterhalb des Tempelberges. Von jüdischer Seite wird ihnen vorgeworfen mit diesen Bauarbeiten historische Zeugnisse der jüdischen Vergangenheit zu zerstören. Wie heilig ist es einer Religionsgemeinschaft den Zugang zu ihren Heiligtümern zu verwehren und diese eventuell sogar noch zu zerstören? Auf der Ostseite des Tempelberges befindet sich das Goldene Tor, eines von 8 Toren zur Jerusalemer Altstadt. Nach der jüdischen Überlieferung soll der Messias bei seiner Ankunft auf der Erde den Tempelberg durch das Goldene Tor betreten. Während der osmanischen Herrschaft über Jerusalem wurde das Tor jedoch zugemauert. Wie heilig ist es ein Tor zuzumauern, um den Einzug des jüdischen Messias zu verhindern? Seit der Staatsgründung Israels 1948 wurde das Land von unzähligen Kriegen, Attentaten, Sprengstoffanschlägen, Bombenangriffen, Raketen und gezielten Tötungen heimgesucht. Wahrscheinlich gibt es im ganzen Land niemanden, der nicht Familienangehörige, Freunde oder Bekannte bei einem dieser Terrorakte verloren hat. Seit Jahrzenten lebt die israelische Bevölkerung in der Gewissheit, dass überall und zu jeder Zeit ein Selbstmordattentäter viele Menschen mit in den Tod reißen könnte. Wie heilig sind Terroranschläge im Namen Allahs die unzählige unschuldige Menschen das Leben kosten?
Auf jeder Postkarte und auf jedem Reiseführer ist es in goldenen Buchstaben zu lesen:
„Heiliges Land“. Im Hintergrund ist die goldglänzende Kuppel des Felsendoms abgebildet. Ein moslemischer Schrein als Wahrzeichen eines jüdischen Staates. Der Glanz verblasst, die Fassade bröckelt. Was macht dieses Land eigentlich heiliger als andere? Woran wird seine Heiligkeit gemessen? Kann man Heiligkeit überhaupt messen? Kann man Heiligkeit gegen Unheiligkeit aufwiegen? Wie viel Heiligkeit würde übrigbleiben wenn man es könnte? Wie viele Waffen braucht dieses Land um seine Heiligkeit zu verteidigen? Wie hoch ist der Preis, den das Heilige Land zahlt um heilig zu bleiben? Wie viel Heiligkeit verkraftet ein Land bevor es daran zerbricht?
Im Zentrum des Friedens ist so viel Krieg. Heiliges unheiliges Land.